Startseite » 40. Deutscher Psychotherapeutentag in Stuttgart

40. Deutscher Psychotherapeutentag in Stuttgart

Am 13. und 14. Mai 2022 tagte der 40. Deutsche Psychotherapeutentag (DPT) in Stuttgart – nach zwei digitalen Veranstaltungen erstmals wieder in Präsenz. Wichtige Forderungen waren ein Sofortprogramm für psychisch kranke Menschen sowie die finanzielle Förderung der psychotherapeutischen Weiterbildung. Ferner stellten die Delegierten des DPT die Muster-Weiterbildungsordnung (M-WBO) fertig und beschlossen, die Ordnungen und die Satzung der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) zu gendern.

Wachsende Aufgaben für die Profession

Birgit Gorgas, Vorstandsmitglied der Psychotherapeutenkammer Bayern und Vorsitzende des DPT, begrüßte für die Versammlungsleitung die Delegierten und stellte fest, dass angesichts von Krieg, Pandemie und Klimakrise mehr Menschen psychotherapeutische Beratung und Behandlung bräuchten. Um helfen zu können, müsse die Profession dazu jedoch auch in die Lage versetzt werden.

Dr. Dietrich Munz, Präsident der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg und Präsident der BPtK, bat die Delegierten vor seinem Bericht des Vorstandes um eine Schweigeminute, um an die Menschen zu denken, die in der Ukraine unter dem Angriffskrieg der russischen Armee zu leiden haben. Die Delegierten gaben ihrem Mitgefühl und ihrer Solidarität durch eine Resolution Ausdruck.

Versorgung psychisch kranker Menschen verbessern

Im Bericht des Vorstands stellt BPtK-Präsident Munz fest, dass die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode die Versorgung psychisch kranker Menschen verbessern wolle und zentrale Punkte dafür schon im Koalitionsvertrag genannt habe. Sie wolle insbesondere die Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz in psychotherapeutischen Praxen verringern und die ambulante Komplexversorgung schwer psychisch kranker Menschen erleichtern. Munz hielt dabei allerdings schnelles Handeln für erforderlich, da die psychischen Belastungen der Corona-Pandemie den Bedarf an Psychotherapie noch vergrößert haben. Die BPtK fordere deshalb ein Sofortprogramm für psychisch kranke Menschen. Insbesondere die Versorgung von Kindern und Jugendlichen müsse dringend verbessert werden. Ein besonderes Augenmerk müsse hier auf soziale Brennpunkte gerichtet werden, sodass psychisch kranke Kinder und Jugendliche mehr Hilfe bekämen. Es brauche mehr Beratungsstellen, Unterstützung der Familien, Vernetzung, Hilfen bei Sprachbarrieren und ausreichende Psychotherapieplätze, betonten auch die Delegierten. BPtK-Vorständin Cornelia Metge berichtete, dass die Politik gerade für diese Probleme ein offenes Ohr habe.

Munz erläuterte die zentralen Punkte des Sofortprogramms für psychisch kranke Menschen:

Wartezeiten auf eine psychotherapeutische Behandlung verringern

Die Bedarfsplanung müsse so weiterentwickelt werden, wie es bereits ein Gutachten für notwendig erachtet habe, das der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) selbst in Auftrag gegeben hatte. Danach sind rund 2.400 zusätzliche Psychotherapeutensitze notwendig. Davon ermöglichte der G-BA bei seiner Reform 2019 allerdings nur 800 Sitze. Der Gesetzgeber solle deshalb den G-BA beauftragen, die noch fehlenden 1.600 Sitze in strukturschwachen und ländlichen Gebieten, aber auch im Ruhrgebiet zu schaffen, forderte Munz. Mit diesem Vorschlag würde auch das Anliegen der Bundesregierung aufgegriffen, insbesondere die Situation von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Zum einen sei jeder fünfte Sitz für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie reserviert. Zum anderen sollten zum Sofortprogramm auch gesetzliche Regelungen gehören, die Ermächtigungen und Sonderbedarfszulassungen für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen erleichtern.

Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen ambulant versorgen

Munz erinnerte daran, dass bereits die letzte Bundesregierung den G-BA beauftragt habe, die ambulante Versorgung schwer psychisch kranker Menschen zu verbessern. Die vom G-BA beschlossene Richtlinie erschwere jedoch die Versorgung. Sie führe zu überflüssigen Mehrfachuntersuchungen und schränke die Zahl der Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen ein, die die Planung und Koordination der Gesamtbehandlung übernehmen könnten. Es sei deutlich, dass die Krankenkassen alles dafür täten, dass dieses Versorgungsangebot nicht entstehen könne. Eine Korrektur sei auch deshalb wichtig, damit der G-BA nicht die gleichen Fehler bei der Richtlinie für Kinder und Jugendliche wiederhole. Außerdem müssten Psychotherapeut*innen die Befugnis erhalten, heilpädagogische, sozialarbeiterische und psychologische – sogenannte nicht-ärztliche sozialpädiatrische Leistungen – zu verordnen. Erst mit dieser Befugnis könne eine umfassende Planung und Koordination der Versorgung komplex psychisch kranker Kinder und Jugendlicher gelingen.

Sprachmittlung für Patient*innen ohne ausreichende Deutschkenntnisse

Die BPtK fordere seit Langem, Sprachmittlung für die Gesundheitsversorgung für Migrant*innen und Flüchtlinge, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, zu finanzieren. Ohne ausreichende sprachliche Verständigung sei eine psychotherapeutische Behandlung schlicht unmöglich. Sprachmittlung sei auch für die meisten ukrainischen Flüchtlinge notwendig, wenn sie aufgrund ihrer Erlebnisse psychisch erkrankten. Ab dem 1. Juni 2022 seien ukrainische Flüchtlinge gesetzlich krankenversichert. Damit hätten sie grundsätzlich auch einen Anspruch auf Psychotherapie. Ohne Sprachmittlung sei diese aber praktisch nicht durchführbar. Daher fordere die BPtK gemeinsam mit anderen Organisationen, dass Sprachmittlung eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung werde. Das Sofortprogramm müsse auch hier so schnell wie möglich die Weichen stellen.

Zukunft der Psychotherapie sichern

Mit einem Sofortprogramm müsse auch die Zukunft der Psychotherapie gesichert werden, stellte Munz fest. Die Reform der Psychotherapeutenausbildung habe die Grundlagen für eine Aus- und Weiterbildung in hoher Qualität geschaffen. Die BPtK und die Landespsychotherapeutenkammern seien mit Hochdruck dabei, die Weiterbildung in ihren Ordnungen umzusetzen. Dennoch fehle in der Weiterbildung ein entscheidender Baustein: Der Gesetzgeber müsse die Finanzierung der ambulanten und stationären Weiterbildung regeln, damit die Ziele der Reform realisiert werden können.

Der 40. DPT bekräftigte diese Forderungen mit Resolutionen zur Komplexversorgung, zur Bedarfsplanung, zur Sprachmittlung und zur Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung.

Abschluss der Muster-Weiterbildungsordnung

BPtK-Vizepräsidentin Dr. Andrea Benecke setzte sich dafür ein, die Muster-Weiterbildungsordnung (M-WBO) möglichst bundeseinheitlich umzusetzen. Es gehe darum, den künftigen Psychotherapeut*innen in Weiterbildung möglichst viel Mobilität zu ermöglichen. Dafür dürften jedoch die Voraussetzungen für die Anerkennung von Weiterbildungsabschnitten zwischen den einzelnen Landespsychotherapeutenkammern gar nicht oder kaum voneinander abweichen. Von großer Bedeutung sei diese Bundeseinheitlichkeit jedoch auch, um der Profession die Definitionshoheit bei den Kompetenzen zu geben, die für die psychotherapeutische Versorgung notwendig seien. Wären die Weiterbildungsordnungen der Landeskammern zu unterschiedlich, könne die M-WBO kein Anknüpfungspunkt für sozialrechtliche Regelungen sein. Dann könne es geschehen, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband festlegten, welche Qualifikationsanforderungen an Psychotherapeut*innen zu stellen sind, wenn sie im ambulanten Bereich tätig werden wollen. Um dies zu vermeiden, habe die BPtK gemeinsam mit den Landeskammern einen regelmäßigen Austausch in der Bund-Länder-AG, im Länderrat, aber auch in der AG der Geschäftsführer*innen und der Ständigen Kommission der Kammerjurist*innen organisiert. Die M-WBO sei ein lernendes System, mit dem die Profession Neuland betrete. Ihre Umsetzung müsse kontinuierlich beobachtet, evaluiert und weiterentwickelt werden.