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Weiterbildung in der Krise

„Wir hatten große Hoffnung, dass sich endlich etwas bewegen könnte“

Die Reform des Psychotherapeutengesetzes im Jahr 2019 legt damals den Grundstein für die fachpsychotherapeutische Weiterbildung. Fünf Jahre später gibt es noch immer keine gesetzlich geregelte Finanzierung der dringend benötigten Weiterbildungsstellen, wodurch auch die praktische Umsetzung stockt. Frauke Nickel und Marten Prigge, beide Studierende des neuen Masterstudiengangs, sowie Kammerpräsident Roman Rudyk beschreiben im Interview, warum die Finanzierungslücke dramatisch ist. Sie sprechen über Unsicherheiten, erörtern aber auch Lösungsansätze und welche politischen Chancen die anstehenden Neuwahlen bieten.

Liebe Frau Nickel, lieber Herr Prigge, wollten Sie beide schon immer Psychotherapeut*in werden?

Frauke Nickel: So ganz geradlinig war das bei mir nicht. Ich hatte nach dem Abitur erst noch viele andere Ideen, dann aber beschlossen, eine Grundlagenwissenschaft zu studieren. Psychologie war dann sehr schnell in meinem Kopf. Es wurde erst Wirtschaftspsychologie und nach dem zweiten Semester habe ich dann zu Psychologie gewechselt, weil ich währenddessen schon gemerkt habe, dass ich mich mit dem ‚Menschsein‘ beschäftigen möchte. Zum einen naturwissenschaftlich, zum anderen aber im Kontext und sozialpsychologisch – weil alles, was mit dem Zusammentreffen von Menschen zu tun hat, mich sehr interessiert! Die Klinische Psychologie hat es mir im Studium sehr früh angetan, denn dort konnte ich meine Fähigkeiten gut einbringen und wollte sie im Master vertiefen. Da ich 2020 mit dem Bachelor begonnen habe, war also klar, dass ich den neuen Master studieren werde, um mit der Weiterbildung Fachpsychotherapeutin zu werden. Durch die letzten vier Jahre, in denen ich Psychotherapie bereits intensiv erproben konnte, hat sich endgültig bestätigt, dass dies der richtige Weg für mich ist.

Marten Prigge: Ich habe schon während der Schulzeit darüber nachgedacht, Psychologie zu studieren. Nach dem Abitur habe ich erst ein FSJ in der Psychiatrie gemacht und dort ehrlich gesagt mein Herz gelassen. Darum habe ich, anstatt direkt zu studieren, in der gleichen Einrichtung in der psychiatrischen Abteilung eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger begonnen. Danach habe ich im ambulanten psychiatrischen Pflegedienst gearbeitet und diesen in den letzten zwei Jahren sogar geleitet. Das lief alles toll, es waren sehr schöne Jahre und ich war sehr zufrieden. Trotzdem wollte ich noch mehr kennenlernen. Das war zeitgleich damit, dass ich von der Reform des Psychotherapiestudiengangs mitbekommen habe. Das klang interessant und so habe ich dann angefangen zu studieren, mit dem Ziel, mehr zu lernen und am Ende in die Psychiatrie zurückzugehen.

Sie haben den neuen Master bzw. die Reform beide bereits angesprochen. Sie sind beide im dritten Semester des Master-Studiengangs, was bedeutet, dass Sie voraussichtlich im kommenden Jahr Ihr Studium mit der Approbation abschließen werden. Daran würde sich die mindestens fünfjährige Weiterbildung anschließen, äquivalent zur Facharztausbildung. Dafür gibt es aktuell aufgrund einer gesetzlichen Finanzlücke aber leider kaum Weiterbildungsplätze. In welcher Situation befinden Sie sich also jetzt?

Frauke Nickel: Die Unsicherheit ist sehr groß und da ist ein großes Fragezeichen, weil ich nicht weiß, wie sich die beruflichen Möglichkeiten konkret gestalten und ich eigentlich noch weiter lernen möchte. Ich möchte auf jeden Fall die Weiterbildung machen und professionell behandeln können! Nach dem Master sind wir dafür noch nicht ausgebildet. Im Studium haben wir viel gelernt, das befähigt uns allerdings nicht Patient:innen im Sinne der Qualitätssicherung ausreichend gut behandeln können. Eine Weiterbildung würde bedeuten, dass wir mit Supervision, Selbsterfahrung und Theorie quasi begleitet fallorientiert lernen, das ist es, was Therapeut:innen nach dem Studium brauchen und was ich möchte.

Marten Prigge: Der Beruf kann schließlich auch unsere eigene Gesundheit betreffen, weshalb eine Weiterbildung mit Supervision und Selbsterfahrung enorm wichtig ist. Ansonsten laufen wir ungeschützt in diesen Beruf rein.

Marten Prigge (links) und Frauke Nickel (rechts) schildern im Gespräch ihre Sorgen und Unsicherheiten.

Ich höre viel Frust aus Ihrer Antwort heraus. Welche Abhilfe würden Sie sich wünschen und von wem?

Frauke Nickel: Ja, es ist Frust – aber keine Resignation. Es braucht die gesetzlich geregelte Finanzierung der Weiterbildung, dieser Schritt ist unerlässlich. Aber dafür fehlt aus meiner Sicht ganz klar der politische Wille.

Wir erleben leider immer wieder, auch zuletzt mit dem GVSG, dass die Gesundheitsversorgung in Deutschland nicht die Priorität hat, die sie nicht nur ideologisch, sondern auch ganz praxisnah haben müsste.

Herr Rudyk, als Präsident der Kammer sind Sie zentral mitverantwortlich für die Umsetzung der Weiterbildung und dass aus der Politik notwendige Weichenstellungen kommen, die hier versäumt wurden. Warum glauben Sie wurde die Finanzierung nicht zeitgleich mit der Reform gesichert? Dann würden wir vor dem Problem jetzt nicht stehen, oder? Würden Sie auch sagen, dass der politische Wille fehlt?

Roman Rudyk: Grundsätzlich war schon mit dem Psychotherapeutengesetz von 1999 klar, dass es einer Reform bedarf, weil die Ausbildung der Psychologischen Psychotherapeut:innen und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen nicht in die Systematik einer heilberuflichen Ausbildung gepasst hat. Schon allein deswegen, weil eine Ausbildung nach einer Ausbildung geschaltet wurde, was rechtlich eigentlich nicht möglich ist. Zweitens, weil ein akademischer Heilberuf in dem Schritt der postgradualen Ausbildung von der Profession selbst geregelt wird – es gab damals aber noch keine Kammern. Und deswegen war klar, dass diese Reform kommen muss.

Es wurde viel diskutiert und irgendwann war man sich einig, dass es ein klinisches Grundstudium mit Abschluss der Approbation geben und daran eine Weiterbildung folgen soll, die parallel zu anderen Heilberufen aufgebaut ist. Bei allen Entscheidungsprozessen stand aber immer die Frage im Raum: Kann die Profession etwas zustimmen, ohne dass die Politik eine Finanzierung zusagt? Kurzum: Wenn man A sagt, muss man B sagen. Und B wurde nicht gesagt.

Präsident Roman Rudyk erläutert die Notwendigkeit der neuen Weiterbildung und die Herausforderungen in den verschiedenen Versorgungsbereichen.

Letztendlich wurde dieser Weg gewählt mit der Intention, im Laufe der Zeit genug Weichenstellungen zu haben, um die Finanzierungsfrage zu regeln. Und das ist aus mehreren Gründen nicht passiert: Man kann sagen, es ist ein gewisses Desinteresse. Ich glaube aber, es sind wesentliche Konflikte damit verbunden, die niemand eingehen wollte. Sowohl auf landespolitischer Ebene als auch von Mitgliedern des Gesundheitsausschusses im Bundestag haben wir stets sehr positive Rückmeldungen zur Finanzierungsfrage erhalten. Aber sowohl der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn als auch Minister Karl Lauterbach vertreten leider die Position, dass es ohne eine gesetzlich geregelte Finanzierung funktionieren müsste. Dann kam wenigstens das GVSG als Grundlage für Verhandlungen zwischen Weiterbildungsinstituten und Krankenkassen und selbst das ist jetzt passé. Das ist eine sehr schwierige Situation, auch wegen der Herausforderungen in den verschiedenen Versorgungsbereichen.

Können Sie den letzten Punkt genauer erläutern?

Roman Rudyk: Die Finanzierung der institutionellen Weiterbildung ist beispielsweise gar nicht geklärt. Denn auch in diesem Bereich soll es Weiterbildungsstellen geben, bspw. in der Jugendhilfe. In der stationären Versorgung ist eine gesetzliche Regelung sehr wichtig für eine zeitnahe Umsetzung der fachpsychotherapeutischen Weiterbildung. Zentral sehe ich die Herausforderung allerdings darin, dass in diesem Bereich die psychotherapeutische Versorgung einschließlich der dazugehörigen Weiterbildung in den Budgetverhandlungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen einen realistischen Niederschlag finden.  Das kann dazu führen, dass es zu einer Verzögerung von etwa zwei bis drei Jahren kommt, was dramatisch wäre. Wir haben schon einige Krankenhäuser, die mit den gegenwärtig unklaren Bedingungen an den Start gehen. Andere blenden die Herausforderung bisher aus. Im Moment haben wir in Niedersachsen fünf anerkannte Weiterbildungsstätten mit insgesamt ca. 40 Plätzen. Noch werden diese nur vereinzelt abgerufen, aber das kann im Herbst schon ganz anders aussehen.

Die größte Hauptherausforderung ist eigentlich der ambulante Bereich. Dort gibt es eine eindeutige, unstrittige Finanzierungslücke von 2.500 bis 3.000 Euro monatlich pro PtW-Stelle. Und hier bräuchte es jetzt dringend eine gesetzliche Regelung, damit diese Stellen über die Krankenkassen finanziert werden. Es ist nicht so, als gäbe es keine Chancen, dass sich dort etwas bewegt, aber Ergebnisse haben wir zumindest in Niedersachsen noch nicht. Wir führen viele Gespräch und möglicherweise kriegen wir in Bezug auf die Förderung der Praxen bald eine Teillösung, was ein großer Fortschritt wäre.

Wenn man jetzt aber bedenkt, dass wir in den nächsten fünf bis sechs Jahren ungefähr 1.250 approbierte Studienabgänger*innen allein in Niedersachsen haben werden, zeigt sich, dass wir längst nicht genügend Weiterbildungsstellen haben werden. Welche Folgen hat das für die Absolvent*innen? Und werden wir nicht langfristig ein noch größeres Versorgungsproblem bekommen, als wir es eh schon haben?

Roman Rudyk: Definitiv. Wir haben bereits jetzt eine Veränderung in der ambulanten Versorgung. Dieser Bereich war immer am meisten begehrt und ist es vermutlich auch noch immer. Trotzdem bleiben bereits jetzt vereinzelt Kassensitze frei und wir haben an einigen Orten keine Bewerbungen auf Niederlassungen. Wenn das so weitergeht, geraten wir in eine ähnliche Situation wie in der hausärztlichen Versorgung, dass eine große Anzahl der ohnehin knappen Praxissitze unbesetzt bleibt. Auch, wenn wir uns in den vergangenen Jahren viel dafür eingesetzt haben, die Behandlungskapazitäten auszudehnen, u.a. über die Abgabe von halben Sitzen, haben wir parallel die paradoxe Situation, dass sich die Wartezeiten in den Praxen in der Nach-Coronazeit eher verlängert haben. Bekommen wir jetzt also eine Verschärfung beim psychotherapeutischen Nachwuchs, wird die Lage sehr schnell dramatisch. Wir bräuchten etwa fünf Jahre, um wieder gegenzusteuern. Das betone ich seit Jahren in allen möglichen politischen Gesprächen.

Marten Prigge ist besorgt, dass die Versorgungssituation psychisch kranker Menschen noch prekärer wird, wenn nicht in den psychotherapeutischen Nachwuchs investiert wird.

Marten Prigge: Mit der ambulanten Versorgungssituation ist auch verbunden, dass damit überwiegend der ländliche Raum gemeint ist, der sowieso weniger gut versorgt ist. Und dass wir in diesem unterversorgten Raum eigentlich sehenden Auges in eine noch stärkere Verknappung reinsegeln. Diese Unsicherheit ist schon für uns Studierende schwer auszuhalten und gleichzeitig gibt es hilfsbedürftige Menschen, die noch länger warten müssen.

Dazu muss man ja sagen, dass nur mit Weiterbildung und Fachpsychotherapeutenstandard auch eine Niederlassung in der eigenen Praxis möglich ist.

Roman Rudyk: Genau. Die Weichenstellung über die Finanzierung der Weiterbildung ist auf jeden Fall das, was den stärksten Einfluss auf die Versorgungssituation hat. Es braucht schlussendlich Fachpsychotherapeut:innen, die dann wieder Fachpsychotherapeut:innen ausbilden können. Wenn es jetzt nicht gelingt, ausreichend Fachpsychotherapeut:innen zu qualifizieren, haben wir in sämtlichen Bereichen – ambulant, stationär, institutionell – früher oder später einen Mangel an Personen, die als Ermächtigte die Weiterbildung anleiten können. Die demografische Situation kommt noch dazu: In den nächsten sieben bis acht Jahren haben wir ein massives Ausscheiden der älteren Kolleg:innen aus den Praxen. Und das trifft dann diese erste Generation der neuen Weiterbildung, die diese Praxen übernehmen müsste. Das dauert alles zu lang und ist dramatisch, weil Psychotherapeut:innen nicht vom Baum zu pflücken sind. Politik denkt leider häufig in Legislaturperioden – diejenigen, die jetzt Politik machen, sind in fünf bis sechs Jahren, wenn uns das auf die Füße fällt, nicht mehr die Entscheidungsträger:innen. Die entscheidenden Gesetzesänderungen, die mit dem GVSG gekommen wären, wurden von der Profession eingebracht, nicht vom Gesetzgeber selbst. Das ist das Ärgerliche: Man steckt viel Arbeit in die Prozesse mit politischen Akteur:innen, um etwas Sinnvolles zu erreichen. Dann kippt die Koalition – und alles ist auf null gestellt.

Marten Prigge: Ich würde die Zeiträume gerne kurz verdeutlichen: Wir studieren fünf Jahre in Vollzeit, danach kommen fünf Jahre Weiterbildung, wenn sie in Vollzeit absolviert wird. In Teilzeit verlängert es sich. Das sind also mindestens zehn Jahre, die wir in Vollzeit beschäftigt sind, um überhaupt den Beruf qualifiziert ausüben zu können. Und nicht einmal der flächendeckende Zugang zur Weiterbildung existiert derzeit. Wir warten seit der Reform 2019 auf eine abschließende Regelung. In diese Legislaturperiode hatten wir große Hoffnung gesetzt, dass sich endlich etwas bewegen könnte. Dass das GVSG so spät – und unzureichend – angegangen wurde, zeigt noch einmal die niedrige Priorität des ganzen Themas.

Im Februar sind Neuwahlen – bedeutet eine neue Regierung eventuell neue Chancen für die Gesundheitsversorgung? Welche politischen Einflussmöglichkeiten gibt es, auch auf Landesebene?

Roman Rudyk: In Niedersachsen hatten wir bei der Finanzierungsfrage immer schon einen Konsens. Aus dem Ministerium erhalten wir in dieser Hinsicht große Unterstützung. Ich erlebe es so, dass Minister Philippi ernsthaft beunruhigt ist, dass die Finanzierung nicht steht. Mit der Bundesratsinitiative 2023 sind wir in Niedersachsen politisch mit an der Spitze der Bestrebungen. Aber für große Finanzierungslösungen sind die niedersächsischen Möglichkeiten natürlich begrenzt. Im Bereich der stationären Weiterbildung ist es nicht ganz so begrenzt. Dort gibt es durchaus landespolitische Optionen einer Einflussnahme bei allen Einrichtungen, die dem Niedersächsischen Krankenhausgesetz unterliegen. Das löst nicht die Probleme in der ambulanten Weiterbildung, aber eine Finanzierung von stationären Weiterbildungsstätten würde schon eine ganze Reihe von Plätzen bedeuten. Auf Bundesebene gehen wir gezielt auf Abgeordnete zu, suchen das persönliche Gespräch und versuchen so, die Finanzierungsfrage voranzubringen. Und ganz wichtig werden dann die Koalitionsverhandlungen. Dass wir Politiker:innen adressieren, die an der Koalitionsvereinbarung mitwirken – das wird ganz entscheidend sein.

Marten Prigge: Als PsyFaKo e.V., wo ich Vereinsmitglied bin, sind wir mittlerweile sehr erfolgreich, was unseren Einfluss betrifft. Durch Demonstrationen sind wir öffentlichkeitswirksam aufgetreten, wir haben eine Bundestagspetition eingereicht und sind insgesamt viel präsenter geworden. Jetzt ist die politische Situation zwar schwieriger geworden, aber wir setzen unsere Hoffnung in den Wahlkampf. Wir werden uns an die Parteizentralen wenden, werden uns einmischen und dann hoffentlich eine Mehrheit in der nächsten Regierungskoalition finden. Momentan ist Raum für Bewegungen, darauf hoffen wir. Auf jeden Fall werden wir uns dafür einsetzen, dass nicht nur Teile, sondern das gesamte Weiterbildungspaket finanziert wird – ambulant, stationär, institutionell. Und jeweils mit Theorie, Supervision und Selbsterfahrung.

Frauke Nickel: Im bvvp, dem Berufsverband, in dem ich aktiv bin, ist die Finanzierungsfrage auch sehr präsent. Ich glaube, egal auf welchem Weg – ob Kammer, PsyFaKo oder Berufsverband – ist es wichtig, den Druck aufrechtzuerhalten. Auch in größeren, überregionalen Medien ist die Weiterbildung mittlerweile Thema, in der Hinsicht ist schon viel passiert und wir versuchen in den nächsten Monaten dies zu intensivieren. Es wird ein schneller, kurzer Wahlkampf sein – umso wichtiger ist es, dass wir von Anfang an auf die Dringlichkeit hinweisen. Die Kandidat:innen müssen Rede und Antwort stehen.

Es ist ein hochdynamischer Prozess, aber für mich ist es undenkbar, dass die Finanzierung der Psychotherapieweiterbildung keine Rolle spielt. Denn unsere Beobachtung ist, dass psychische Gesundheit als Thema in der Allgemeinbevölkerung immer relevanter wird – weil es Menschen so betroffen macht! Und wir hoffen, dass in der Gesellschaft ankommt, dass wir gerade noch mehr in einen Versorgungsengpass reinrutschen und dass dies aber vermeidbar wäre.

Frauke Nickel sieht große Chancen in der neuen Weiterbildung und hofft, dass die Finanzierung in der neuen Legislatur endlich gesetzlich geregelt wird.

Wie geht es nach dem Studium für Sie oder auch Ihre Studienkolleg*innen weiter, ohne ausreichend Weiterbildungsstellen?

Frauke Nickel: Ich bleibe dabei, dass ich direkt an die Approbation die Weiterbildung anschließen möchte. So geht es den allermeisten und die Frustration über die Situation ist definitiv bemerkbar. Viele hätten die Möglichkeit, sich noch nach altem Recht ausbilden zu lassen und wollen es aber nicht, weil sie das neue System als große Chance erkannt haben. Einige, die schon in die neue Weiterbildung könnten, aber nicht müssen, sind oft eher zurückhaltend und entscheiden sich für das alte System, um keine Risiken einzugehen. Und dann gibt es noch Absolvent:innen mit Approbation, die die Weiterbildung machen möchten, aber eben nicht können. Die arbeiten nun auf Psycholog:innen-Stellen, obwohl sie eigentlich eine höhere Qualifikation haben (nämlich die der Psychotherapeut:innen). Und das ist nicht okay! Viele sind trotzdem bereit, diese Stellen erstmal als Überbrückung zu besetzen, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt und es besser erscheint, wenigstens zu arbeiten und die erlernten Kompetenzen einbringen zu können. Ich selbst kann mir das aktuell nicht so gut vorstellen beziehungsweise möchte ich schon noch viel systematisch-angeleitet lernen. Die Weiterbildung ist aus verschiedensten Gründen sehr wichtig für uns und unerlässlich. Durch das Studium haben wir eine gute Grundausbildung, aber wie bereits gesagt noch nicht die Fähigkeit, den Beruf allein auszuüben. Auch sollten Psychotherapeut:innen eine Behandlungsqualität gewährleisten können, die Patient:innen gesetzlich zusteht – das ist ebenfalls mein persönlicher Anspruch und dafür brauche ich die Weiterbildung. Weiterhin haben wir nach dem Master und Approbation noch keine Fachkunde.

Die Vernetzung der unterschiedlichen Akteure im Bereich der Weiterbildung wird von allen Gesprächspartner:innen als ein wichtiger Baustein verstanden, um in der Finanzierungsfrage den Druck auf die Politik gemeinsam aufrechtzuerhalten.

Noch ein Gedankenanstoß zum Schluss: Was wünschen Sie sich für eine gute Zusammenarbeit zwischen Berufsvertretung und Studierenden? Wie können Sie voneinander profitieren?

Roman Rudyk: Für die Kammer war es nicht immer so einfach, den Kontakt ins Studium herzustellen. Aber der Austausch mit den Universitäten, den Professoren und Studierenden wird zunehmend intensiver – das ist eine sehr positive Entwicklung. Gemeinsam können wir viel bewegen und wenn die Universitäten auch Signale an die Politik senden, wäre das hervorragend. Es wird wichtig sein, dass man sich nicht abschütteln lässt.

Frauke Nickel: In Niedersachsen haben wir das Glück, dass bereits Masterstudierende in der Kammer Mitglied werden können. Das ist sinnvoll, um Informationen und Beratung in Anspruch nehmen zu dürfen und eine gute Möglichkeit für Vernetzung und Offenheitsbekundung. Es braucht vereinte Kräfte, um gemeinsam den Weg zu gestalten. Transformation braucht immer Zeit, aber wir Studierenden sind bereit, diese mitzugestalten.

Marten Prigge: In der Studierendenschaft haben wir ein großes Engagement, trotzdem gibt es immer noch Informationsdefizite, weil die Situation so komplex ist und so viele Stellen interagieren. Die PsyFaKo bietet sich dann als Sprachrohr für die Studierenden an und bemüht sich, das System verständlich zu vermitteln. Und dafür brauchen wir Beratung von erfahrenen Menschen – daher profitieren wir von den Beratungsleistungen der Kammer. Je mehr Austausch besteht, desto besser können wir auch zu den Studierenden kommunizieren. Je mehr wir die Studierenden informieren und dranbleiben, desto gezielter kann studentisches Engagement genutzt werden. Wir werden also weiter informieren, weiter mit anderen Akteur:innen wie der Kammer zusammenarbeiten und so den Einfluss vergrößern. Wir werden weiterkämpfen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Gesprächsführung und Fotos: Gina Briehl.