Startseite » Mitglieder » Themenportal » Psychotherapeut*innen in der Erziehungsberatung

Psychotherapeut*innen in der Erziehungsberatung

Die Erziehungsberatung ist ein Angebot der ambulanten Jugendhilfe, das elterliche Erziehungskompetenz unterstützen oder wiederherstellen und kindliche Entwicklungsmöglichkeiten fördern soll. Durch frühzeitiges Handeln können negative Konsequenzen chronifizierter Störungen und die daraus entstehenden gesellschaftlichen Folgekosten wirksam minimiert werden.

Erziehungsberatung ist ein ganzheitliches Angebot, das gegebenenfalls das Umfeld und den Sozialraum mit einbezieht.

Rechtsgrundlage

Ihre Rechtsgrundlage findet die Erziehungsberatung im § 28 des SGB VIII. Sie wird als Pflichtaufgabe des örtlichen Jugendhilfeträgers definiert. Eltern und andere Personensorgeberechtigte haben hierauf einen Rechtsanspruch. Auch weitere Bereiche des SGB VIII liefern Grundlagen für die Arbeit der Erziehungsberatungsstellen, so z.B. die Arbeit mit Familien in oder nach Trennungs- und Scheidungssituationen.

Niedrigschwellig – freiwillig – kostenfrei – Schweigepflicht

Die Erziehungsberatung ist ein Angebot, das möglichst rechtzeitig genutzt werden sollte. So können Ratsuchenden zu unterstützt werden, ihre eigenen Ressourcen zu nutzen und förderliche Prozesse in Gang zu setzen oder aber eskalierende Entwicklungen zu vermeiden. Wenn die Familien so früh wie möglich in ihrem selbstverantwortlichen Bemühen gestärkt werden, kann stärker eingreifenden Hilfen meist vorgebeugt werden.

Ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist der freiwillige Zugang zur Erziehungsberatung, der sowohl ohne förmliche Leistungsgewährung als auch ohne Zwang durch Dritte erfolgt. Hier findet eine wichtige Weichenstellung hinsichtlich des Beratungsprozesses statt. Die Eigenverantwortung der Ratsuchenden wird eingefordert und gleichzeitig bleibt die Selbstkontrolle bei ihnen. Die Leistungen der Erziehungsberatung werden kostenfrei gewährt und unterliegen der Schweigepflicht.

Fachliche Standards

Eine wesentliche Arbeitsgrundlage der Erziehungsberatung besteht in der Einbindung in fachliche Standards, die durch die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) festgelegt und fortlaufend weiterentwickelt werden. Die bke bildet als eingetragener Verein den bundesweiten Zusammenschluss der Landesarbeitsgemeinschaften (LAG) der Erziehungsberatungsstellen und fungiert als ihr zentrales Organ. Die entwickelten fachlichen Standards und Stellungnahmen werden fortlaufend publiziert.

Organisatorische Einbindung

Erziehungsberatungsstellen sind entweder in die kommunale Verwaltung eingebunden oder werden in freier Trägerschaft unterhalten. Zum Teil wird Erziehungsberatung auch als Teil des Leistungsangebots von Beratungsstellen mit mehreren Aufgabengebieten erbracht (z.B. Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen).
Kennzeichnend für die Erziehungsberatungsstellen ist das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte in einem multidisziplinären Team. Sie stehen – unter Beachtung der Schweigepflicht – sowohl fallbezogen als auch -übergreifend im Austausch mit Kinderärzten, Kinderpsychiatern, Kliniken, medizinischen-diagnostischen Einrichtungen, niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten als auch mit Psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten.

Zuständigkeit, Zielgruppe und empfohlener Versorgungsschlüssel

Das Angebot der Erziehungsberatung richtet sich an alle in der jeweiligen Kommune lebenden Kinder, Jugendliche und deren Eltern, sowie junge Erwachsene bis zum 27. Lebensjahr.

Die Versorgung mit Erziehungsberatung sollte laut Empfehlung der WHO (1956) so berechnet werden, dass für jeweils 45.000 Einwohner eine Erziehungsberatungsstelle mit vier bis fünf Fachkräften zur Verfügung steht. Das heißt, dass eine Fachkraft auf 10.000 Einwohner kommt, von denen zum Zeitpunkt der Empfehlung ca. 26,5 % Kinder und Jugendliche (unter 18 Jahre) waren.

Ziele

Die Arbeit der Erziehungsberatung orientiert sich an den allgemeinen Zielen der Jugendhilfe, die im § 1 Abs. 3  SGB VIII beschrieben sind:

  • Förderung angemessener individueller und sozialer Entwicklung, Eigenständigkeit und Eigenverantwortung von Kindern und Jugendlichen
  • Schutz ihres Wohlergehens
  • Unterstützung von Eltern und anderen Erziehungsberechtigten
  • Verbesserung der Lebensbedingungen junger Menschen und ihrer Familien

Leistungen

Neben der Beratung hält die Erziehungsberatung weitere Leistungsangebote vor, wie z.B. Gruppenangebote, präventive Leistungen, Psychotherapie, Diagnostik, Beratung von Fachkräften aus der Jugendhilfe, Schulen etc.

Zusätzlich zum gesetzlich und fachverbandlich beschriebenen Regelangebot unterliegen die Leistungsangebote regionalen Unterschieden und bilden diverse Schwerpunkte. Dies geschieht in aller Regel eingebettet in das psychosoziale Versorgungsangebot der jeweiligen Kommune.

Psychotherapie in der Erziehungsberatung

Psychotherapeutische Interventionen in der Erziehungsberatung orientieren sich an den beschriebenen Zielen des SGB VIII und haben nicht primär die Linderung oder Heilung einer psychischen Erkrankung im Fokus, wie es auf Grundlage des SGB V der Fall wäre. Bei Klienten, die eine Erziehungsberatungsstelle in Anspruch nehmen, handelt es sich teilweise um Menschen mit multiplen Problemlagen und Mehrfachbelastungen, die eine ebenso komplexe Problemsicht erfordern. Behandelt wird in aller Regel jedoch nicht nur eine Person, vielmehr steht die Interaktion mehrerer Familienmitglieder (z. B. Eltern-Kind) im Fokus. Darin liegt auch die besondere Qualität der ErziehungsberatungEinzelne methodische Vorgehensweisen, wie beispielsweise pädagogische und psychotherapeutische Interventionen oder diagnostische Leistungen, sind in der Regel kaum von anderen Vorgehensweisen wie Informationen, Begleitung, Beratung oder Kooperationsgesprächen mit Dritten zu trennen, sondern in den gesamten Beratungsprozess eingebettet. Erziehungsberatung ist somit als ganzheitlicher umfeld- und sozialraumbezogener Ansatz zu verstehen, der sich kaum in einzelne Leistungen aufsplitten lässt. Psychotherapeutische Interventionen bei Eltern und Kindern dienen also der (Wieder-) Herstellung von Erziehungsfähigkeit bzw. förderlicher Entwicklungsbedingungen für Kinder.

Das psychotherapeutische Angebot ist als Teil innerhalb dieses Systems zu verstehen und als wesentliche fachliche Kompetenz unverzichtbar. Sollte eine klar umrissene und vom Beratungsprozess abgrenzbare Indikation für eine psychotherapeutische Leistung bestehen, die im Rahmen des Gesundheitssystems erbracht wird, so wird der Weg zu diesen Leistungen aufgezeigt und ggf. begleitet oder unterstützt, aber nicht in der Erziehungsberatung selbst erbracht.

Psychotherapeut*innen im multiprofessionellen Team

Ein für die Erziehungsberatung charakteristisches Merkmal ist die Besetzung des Mitarbeiterteams. Der § 28 des SGB VIII legt fest, dass verschiedene Fachrichtungen in der Erziehungsberatung vertreten sein sollen. Die jüngere Geschichte der institutionellen Erziehungsberatung in der Bundesrepublik Deutschland beschreibt eine Entwicklung hin zu psychologischer, psychotherapeutischer und zunehmend sozialpädagogischer Blickrichtung. Dieses Bild erschließt sich, wenn die Veränderung der Präsenz der verschiedenen Berufsgruppen betrachtet, die in der Erziehungsberatung in den letzten 50 Jahren tätig waren und sind. Ebenso wie für die angedeutete Vielfalt der in ihrem Rahmen tätigen Berufsgruppen steht die Erziehungsberatung auch für Pluralität in der Anwendung von Methoden und Verfahren, die in der Arbeit mit Familien zum Einsatz kommen. Sowohl pädagogische Konzepte als auch unterschiedliche Psychotherapieverfahren finden in den Erziehungsberatungsstellen ihren Raum und bieten ein breites Repertoire an Interventionsmöglichkeiten.

Da sich die Problemlagen der Ratsuchenden häufig als äußerst komplex erweisen und dabei sowohl soziale, psychische als auch organische Bedingungen zusammenwirken, wird die Forderung nach hoher fachlicher Qualifikation unterstrichen.

Die in der Erziehungsberatung tätigen Mitarbeitenden gehören also pädagogischen und psychologischen Berufsgruppen an und verfügen in der Regel zusätzlich über spezifische Fach- oder Beratungsqualifikationen oder auch psychotherapeutische Ausbildungen. Nach Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes 1999 gehören auch Psychologische Psychotherapeutinnen unt -therapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten dazu.

Die durch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten eingebrachten Kompetenzen werden nicht nur in der individuellen Arbeit mit den jeweiligen Klienten eingesetzt, sondern ergänzen in Fallbesprechungen, Supervision oder co-therapeutischen Ansätzen die anderen fachlichen Qualifikationen und sind eine tragende Säule der fachlichen Qualität des multiprofessionellen Teams.

Dieses wird ergänzt durch die Teamassistenz. Sie nimmt neben verwaltungstechnischen und organisatorischen Aufgaben die wichtige Funktion der ersten Kontaktaufnahme zu den Ratsuchenden wahr und steht für telefonische oder persönliche Anmeldungen zur Verfügung.