Startseite » Weiterbildung in Warteschleife? Nicht mit uns!

Weiterbildung in Warteschleife? Nicht mit uns!

„Psychotherapie-Weiterbildung finanzieren – jetzt!“ forderte am 6. Juni ein breites Bündnis aus Psychotherapie-Studierenden, Bundes- und Landespsychotherapeutenkammern, Verbänden, Universitäten und Ausbildungsstätten vor dem Deutschen Bundestag. Die Bundestagsabgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Dirk Heidenblut (SPD), Alexander Föhr (CDU), Kathrin Vogler (Die Linke) und Nezahat Baradari (SPD) unterstützten die von der Psychologie-Fachschaften-Konferenz (PsyFaKo) organisierte Demonstration vor Ort. Über 500 Personen haben teilgenommen. 

Anlass waren die weiterhin unzureichenden Regelungen zur Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung, auch nach Vorliegen des Kabinettsentwurfs zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG). Seit zwei Jahren gibt es immer mehr Absolvent*innen der neuen Psychotherapie-Studiengänge, im kommenden Jahr werden ungefähr 2.500 erwartet. Sie brauchen die fünfjährige Weiterbildung, um Fachpsychotherapeut*in zu werden.

Demo vor dem Bundestag
Demonstration vor dem Bundestag - Foto: DPtV

„Die Weiterbildung gibt es nicht zum Nulltarif. Mit dem Kabinettsentwurf eines Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) hat die Bundesregierung jetzt erstmals das Problem anerkannt: Die Zukunft des psychotherapeutischen Nachwuchses muss gesichert werden. Das ist gut, aber auch überfällig. Doch greift der Gesetzentwurf viel zu kurz“, kritisierte Dr. Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).

Ohne gesetzlich geregelte Finanzierung werden nicht genügend Weiterbildungsplätze zur Verfügung stehen. In den GVSG-Kabinettsentwurf aufgenommen wurde lediglich eine Refinanzierung der abrechenbaren Versorgungsleistungen der angestellten Psychotherapeut*innen in Weiterbildungsambulanzen. Bei der Verhandlung der Ambulanzen mit den Krankenkassen über die Höhe der Vergütung für diese Versorgungsleistungen sollen notwendige Betriebskosten der Ambulanzen für die Durchführung der Weiterbildung aber ausdrücklich nicht berücksichtigt werden dürfen. Damit können in der ambulanten Weiterbildung keine angemessenen Gehälter bezahlt werden. Darüber hinaus kann der notwendige Bedarf an Weiterbildungsplätzen nur sichergestellt werden, wenn neben den Ambulanzen auch Praxen, Kliniken und Institutionen entsprechende Kapazitäten zur Verfügung stellen. Die notwendige Finanzierung der Weiterbildung in Praxen sowie im stationären und institutionellen Bereich bleibt jedoch im bisherigen Entwurf gänzlich unberücksichtigt. Ohne die Weiterbildung zu Fachpsychotherapeut*innen gibt es keine Qualifikation für die psychotherapeutische Praxis und keine Erlaubnis, mit den Krankenkassen abrechnen zu dürfen.

„Schon jetzt würden mehr als 2000 Praxen gerne Weiterbildung anbieten. Aber noch keine einzige hat eine*n Psychotherapeuten*in in Weiterbildung eingestellt. Warum nicht? Weil gesetzliche Regelungen fehlen. Wir brauchen eine Änderung der Zulassungsverordnung, damit die Weiterbildungs-Therapieleistungen überhaupt in Praxen erbracht werden können“, forderte Barbara Lubisch, stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV).

Fotos: DPtV/Valentin Paster

„Viele Studierende verzögern ihre Abschlussprüfung – in der Hoffnung, dass es bald mehr Sicherheit gibt. Durch Gespräche weiß ich, wie psychisch belastet die Studierenden durch diese ungewisse Situation sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie auch das Studium Corona-bedingt unter schweren Bedingungen beginnen und durchführen mussten“, gab Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier zu bedenken, Lehrstuhlinhaberin der Klinischen Psychologie und Psychotherapie an der Universität Greifswald.

„Ich bekomme in meiner Klinik Bewerbungen von verzweifelten Studierenden, die nicht wissen, wie sie ihre Weiterbildung beginnen sollen – es gibt einfach keine Weiterbildungsstätten. Unsere Kliniken können keine Weiterbildungsstätte werden, weil die Finanzierung fehlt“, beschrieb Elisabeth Dallüge, Sprecherin der ver.di Bundesfachkommission PP/KJP, die Situation im stationären Bereich.

„Die Vorschläge liegen auf dem Tisch, aber uns rennt die Zeit davon: Die ersten Jahrgänge im neuen System stehen vor einer ungewissen Zukunft. Herr Lauterbach, handeln Sie jetzt: Wir brauchen noch diesen Sommer eine Finanzierungsregelung im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz“, forderte PsyFaKo-Mitglied Felix Kiunke.

Am 19. Juni soll das GVSG voraussichtlich im Bundesrat Thema werden. Die PKN setzt sich auf landespolitischer Ebene dafür ein, dass sich Niedersachsen im Bundesrat erneut für eine geregelte Finanzierung von Weiterbildungsstellen stark macht.

Allein in Niedersachsen werden innerhalb der nächsten fünf bis sechs Jahre circa 1.250 Weiterbildungsplätze benötigt, damit die bisherige psychotherapeutische Versorgung aufrechterhalten werden kann. Ohne gesicherte Finanzierung ist dies eine Unmöglichkeit. Die Weichen, um einen Einbruch in der Versorgung von psychisch erkrankten Menschen zu verhindern, müssen jetzt dringend gestellt werden.

Hintergrund
Seit September 2020 gibt es einen neuen Qualifizierungsweg für Psychotherapeut*innen. Dieser besteht aus einem Studium und einer anschließenden Weiterbildung. Die Struktur der neuen Weiterbildung ist angelehnt an die ärztliche Weiterbildung. Jedoch wurde die Finanzierung der Weiterbildung nicht ausreichend geregelt. Auf den dringenden Handlungsbedarf wurde im letzten Jahr mit einer erfolgreichen Bundestagspetition aufmerksam gemacht, die durch ihre 72.000 Mitzeichnungen im Juli 2023 zur öffentlichen Anhörung im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages führte. Der Petitionsausschuss
hatte das Anliegen anerkannt und ans Bundesgesundheitsministerium verwiesen. In der Folge hat am 13. Dezember 2023 der Petitionsausschuss die Petition mit dem höchstmöglichen Votum „zur Berücksichtigung“ an die Bundesregierung überwiesen. Dieser Beschluss wurde am 18. Januar durch den Bundestag bestätigt.